Schwäbische Provinz, 20 Uhr. Nach dreistündiger Anreise stehe ich mit einer Reservierungsbestätigung für ein barrierefreies Zimmer an der Hotel-Rezi, als mir die verwunderte, peinlich berührte Spätschicht erklärt, das Haus verfüge über keines solcher Zimmer. Uff!! Wie sagt man immer so schön: Das hatte ich auch noch nicht!
Was war passiert? Vermutlich hatte mir eine sehr freundliche aber ahnungslose Aushilfe ein Zimmer bestätigt, das es gar nicht gibt. Und weil Behinderung nicht gleich Behinderung ist, hat das in der Vergangenheit wahrscheinlich auch mal funktioniert. Muss ja nicht gleich ein Rollstuhlfahrer kommen, der wirklich behindert ist.
Wer hier und da mit Hotels zu tun hat, weiß wie es um die Barrierefreiheit 2017 in Deutschland bestellt ist: sehr arm!
(Besagtes Hotel verfügt übrigens über 163 (!) Zimmer – keines davon barrierefrei.)
Zuhause ist natürlich auch nicht immer alles barrierefrei aber man kennt sich aus und kann sich arrangieren. Das Programmkino legt eine Rampe über sie beiden Stufen am Eingang oder beim Italiener kannst du über die Terrasse rein. So ist vieles machbar.
Hotelbetriebe könnten mit gutem Beispiel vorangehen. Lösungen anbieten statt immer nur auf Probleme zu verweisen: Altbau, zu teuer, kein Bedarf … Das Argument kein Bedarf ist an Hohn kaum zu überbieten.
Vor allem sollten sich Hoteliers endlich ernsthaft mit der Thematik Barrierefreiheit auseinander setzen und ihre Angestellten anständig briefen. Als Hotelgast mit Behinderung treffe ich flächendeckend auf eine fundierte Ahnungslosigkeit. Was habe ich nicht schon alles von der beherbergenden Zunft gehört? Hier die Top 5 der ahnungslosesten Antworten:
5 – Unser Haus ist nicht so richtig behindertengerecht aber andere Rollofahrer (Rollo!) haben sich bei uns schon sehr wohl gefühlt.
4 – Das Zimmer ist sehr wohl behindertengerecht – nur nicht für Rollstuhlfahrer.
3 – Ach, Sie benötigen einen Aufzug? Wir haben zwar einen Lift, der ist aber meistens defekt. Könnten Sie im Notfall auch die Treppe benutzen?
2 – Bei uns ist alles barrierefrei. Am Eingang ist eine 15 cm hohe Stufe, wenn Sie Probleme haben helfen wir gerne, es kommt dann jemand raus.
1 – Äh … barrierewas?
Ok, es gibt auch wirklich richtig gute barrierefreie Hotels. Häuser, in denen du dich einfach wohl fühlst. So, wie es für alle Gäste ohne Behinderung grundsätzlich üblich ist. Aber machen wir uns nichts vor, das sind immer noch Ausnahmen. Viele Gaststätten- und Hotels ignorieren die Belange behinderter Gäste weitgehend.
Können wir etwas tun? Jaaa! Unbequem sein, nachfragen und Menschen sensibilisieren. Starte in einem nicht barrierefreien Hotel/Restaurant eine Terminanfrage: Samstag im Mai, Familienfeier ca. 80 Personen, Abendessen, ca. 8-10 Übernachtungen. Frage ob ein Rollstuhlfahrer zurecht kommen würde: Ebenerdiger Eingang, Rollstuhl-Toilette, barrierefreies Zimmer…
Oh, nicht ganz barrierefrei? Das ist aber schade. Hm, dann muss ich mich leider anderweitig umsehen. So Schade …
Barrierefreiheit 2017 in Deutschland. Das unsägliche Bundesteilhabegesetz (und die teilweise absurde Debatte darum) hat verdeutlicht, wie weit politische Entscheidungsträger von der Lebenswirklichkeit der Betroffenen entfernt sind. Wer ernsthaft glaubt, diese soziale Bankrotterklärung sei die Umsetzung der (sechs Jahre alten) UN-Behindertenrechtskonvention in nationales Recht, macht sich lächerlich. Zum Kotzen lächerlich!
Meines Erachtens legen hier Bundestagsabgeordnete, Landestagsabgeordnete, Stadtoberhäupter mit ihren Baubehörden ein „Quasi – kriminelles “ Verhalten an den Tag. EU-Verodnungen werden nicht umgesetzt, barrierefreiheit bei Bus- und Bahn werden nicht realisiert und es keine , etc, etc.
AUCH dies ist ein Grund der, weshalb sich junge Menschen nicht mehr politisch engagieren wollen.
Natürlich scheuen sich Hoteliers und Restaurants für behindertengerechte Einrichtungen zu investieren. Dieses Verhalten hatte Tankstellenbesitzer (Sicherheit), Metzger (Hygiene) früher auch, aber dann gab es halt keine Betriebsgenehmigung mehr.
Die Unfähigkeit des Verkehrsministeriums wird sich in Bälde ganz schnell bei der Durchsetzung derRollstuhlplätze und -mitnahme im Reisbusverkehr zeigen.
Auch im südlichsten Bundesland (Schweiz) läuft so einiges unter dem Label „barrierefrei“, welches diesem nicht entspricht. Oft stelle ich fest, dass sich Hotel- und Restaurantbesitzer nicht bewusst sind, dass gerade für Gehbehinderte schon die niedrigste Stufe und die kleinste Unebenheit zur Herausforderung werden kann, auch wenn ein Rollstuhl problemlos passieren kann.
Im Allgemeinen hilft hier lautstarker Protest nicht weiter. Dies führt im positivsten Fall zu einem entschuldigenden Service-Lächeln. Gute Erfahrung habe ich aber gemacht, indem ich Angestellte einfach humorvoll an der Hand genommen und ihnen gezeigt habe, an welchen „Barrieren“ ich wann und wie scheitere. Dem „Aha-Effekt“ können sich die wenigsten Angestellten und Inhaber entziehen.
Ob sich dadurch wirklich etwas ändert? Bei mir selbst auf jeden Fall. Ich werde ernst genommen und lade mein Gegenüber dazu ein, sich mit diesem Thema etwas differenzierter zu beschäftigen.
Gestern habe ich erstmals einen perfekten, barrieere freien Ausflug erlebt.
Wir leben in der Nähe von München und verbrachten einen Tag auf der Herreninsel im Chiemsee. Die Schifffahrt von Prien kostete für mich und meine Frau nichts.(Behindertenausweis- Merkzeichen Begleitperson sowie Freifahrtkarte)
Auf das Schiff kam ich problemlos(Rampe). Zur Gaststätte und ins Schloss führte eine Rampe ebenso zur behindertengerechten Toilette, welche auch mit dem eigenen Euroschlüssel zu öffnen war. Auch die Schlossbesichtigung soll Rollstuhl gerecht sein. Somit werden wir demnächst wieder kommen und die Schlossbesichtigung machen.
Hotels in Italien sind häufig als Rollstuhlfahrer, trotz telefonischer Nachfrage eine Katastrophe. Zu kleine Aufzüge, Bäder zu klein, Waschbecken nicht unterfahrbar, Dusche nicht ebenerdig, kein Duschsitz usw.
Auf die Zugspitze mit der Seilbahn von Grainau aus werde ich nicht mehr fahren,
da selbst für die Begleitperson der volle Fahrpreis bezahlt werden muss.
Restaurants und Lokale welche keine Rampe haben und auch über kleinste Stufen
nicht helfen wollen (habe Rücken und sonstige Ausreden) werde ich für alle Zeiten
meiden, auch wenn ich genügend eigene Helfer dabei habe.
Vielen Dank für deinen Erfahrungsbericht, Bernhard.
Der Ausflug zur Herreninsel ist ein klasse Tipp!
Gruß Christof